Die Herbstfärbung der Blätter

September

Der Garten trauert,
Kühl sinkt in die Blumen der Regen.
Der Sommer schauert still seinem Ende entgegen.
Golden tropft Blatt um Blatt nieder vom hohen Akazienbaum.
Sommer lächelt erstaunt und matt in den sterbenden Gartentraum.
Lange noch bei den Rosen bleibt er stehn, sehnt sich nach Ruh.
Langsam tut er die müdgewordnen Augen zu.

(Hermann Hesse)

So hat ein leidenschaftlicher Gärtner einst den September beschrieben. Richard Strauss vertonte das Gedicht mit drei weiteren in seinen berühmten "Vier letzten Liedern".

Es muss wohl Hesses Sinn betrübt gewesen sein, als er den Herbst so trostlos beschrieben hat.

Strauss setzt diesem düsteren Bild mit der Vertonung des Schack-Gedichtes "Lob des Leidens" in seiner heroischen Steigerung einen gloriosen Gegenton.


Lob des Leidens

O schmäht des Lebens Leiden nicht!
Seht ihr die Blätter, wenn sie sterben,
Sich in des Herbstes goldenem Licht
Nicht reicher, als im Frühling färben?
Was gleicht der Blüte des Vergebens
Im Hauche des Oktoberwebens?
Kristallner als die klarste Flut
erglänzt des Auges Tränenquelle,
Tiefdunkler flammt die Abendglut,
Als hoch am Tag die Sonnenhelle.
Und keiner küsst so heißen Kuss.
Als wer für ewig scheiden muss.
(Adolf Friedrich von Schack)

Es muss das Unerklärliche des Menschen sein, dass er beim Anblick all solcher Herbstherrlichkeit noch Fragen stellen kann und forschen muss nach der Ursache, nach dem Sinn und dem Warum.

Doch auch dieser fragenden Seelenseite will ich Rechnung tragen und versuchen, einen kurzen Abriss zu Ursache und Sinn der lichtjubelnden Sommerabschiedsvorstellung zu geben.

Ernüchtert müssen wir feststellen, dass es nicht des Zaubers oder Farbenrausches willen ist, dass hierzulande ganze Wälder und Autobahnböschungen in Flammen aufgehen. Und wiederum mit etwas Genugtuung stellen wir fest, dass in südlicheren Klimaten - nach denen wir uns im Winter viel zu häufig sehnen werden - nicht dieses herbstliche Naturschauspiel zu beobachten ist.

Denn die Bäume und Sträucher merken bei uns schnell, dass sie ein kalter Winter erwartet und dass sie sich besser darauf vorbereiten sollten. Sie "wissen", dass sie ihr Laub lassen müssen, um bei gefrorenem Boden im Winter nicht durch unnötige Verdunstung von Wasser über die große Blattoberfläche auszutrocknen. Und da hierzulande Bäume und Sträucher gut erzogen sind, bereiten sie sich rechtzeitig - nämlich schon im Herbst - auf die Unbill des Winters vor. Sie ziehen wichtige Energien in den Stamm, Wurzel oder andere Speicherorgane zurück, um mit ihrer Hilfe im kommenden Frühling ein glorreiches Comeback zu feiern.

Das teuerste Gut der Pflanze ist ihr grüner Farbstoff: das Chlorophyll. Dieses sitzt in speziellen Zellorganen der Pflanze, den sog. Chloroplasten. Mit dessen Hilfe kann sie Sonnenlicht so verwandeln, dass sie unter Hinzunahme von Kohlendioxid und Wasser organische Substanzen, z.B. Zucker, und Sauerstoff als Abfallprodukt herstellen kann. Das ist noch keinem Menschen aus sich heraus gelungen, weil es noch schwieriger ist, als aus Sch**** Geld zu machen.

Doch wenn die Tage kürzer werden, nimmt auch die Photosyntheseleistung der Pflanze ab. Wenig Licht schon im Frühjahr bewirkt bei Pflanzen die Ausbildung besonders großer Blätter, die hauptsächlich Chlorophyll enthalten und besonders dunkelgrün gefärbt sind (sog. "Schattenblätter"). Doch wenn im Herbst das einst noch ausreichende Licht schwächer wird, dann weiß die Pflanze, dass es keinen Sinn hat, die Blätter zu vergrößern oder das Chlorophyll aufzustocken, um mehr Energie zu gewinnen: Sie hätte dann aufs falsche Pferd gesetzt. Wie ein souveräner Börsianer holt sie also rechtzeitig ihre Ressourcen und Gewinne, die sie ausnahmsweise nicht gleich eingestrichen hat, wieder ein.

Dabei verliert das Laub seine grüne Färbung.

Wenn man sich klar macht, wieso das Chlorophyll Pflanzenteile eigentlich grün färbt, so muss man sich die Funktionsweise des Chlorophylls vor Augen führen. Die Aufgabe von Chlorophyll ist es, Licht bestimmter, für die Pflanze verwertbarer Energie zu fangen. Das Licht, welches für die Pflanze verwertbar ist, ist hauptsächlich dunkelblaues und orangerot-farbenes Licht. Chlorophyll fängt also diese Lichtfarben aus dem weißen Sonnenlicht raus (= Absorption) und führt sie quasi einem höheren Zweck zu. Das Licht der übrigen Farben wird im wahrsten Sinne des Wortes zurückgeworfen und kann unserem Auge als Mischfarbe er-scheinen. Die Mischfarbe, die alle Lichtfarben außer Dunkelblau und auch nur wenig Orangerot enthält, ist Grün. So ist es das Schicksal des Chorophylls - wie auch aller anderen Dinge in dieser Welt - dass sie genau so wahrgenommen werden, wie das, was sie eigentlich von sich weisen (= reflektieren).

Und als habe jemand in der Musik endlich die viel zu laute Basseinstellung zurückgedreht, zeigen sich nach Schwund des Chlorophylls langsam, im wechselnden Farbspiel mit den Scheidenden, die stillen, schon immer im Hintergrund vorhandenen Töne: die gelb- und orangefarbenen Carotinoide (umfasst die Carotine und Xanthophylle). Diese wesentlich primitiver als das Chlorophyll aufgebauten Stoffe waren dessen stete Begleiter und wohnten ebenfalls in den Chloroplasten. Die Carotine haben einer genügsamen Ehefrau gleich dem Gatten zugearbeitet, ihm bis dahin still und unerkannt den Rücken freigehalten und ihn gestärkt; dass der Karriere machen kann. Denn die Aufgabe der Carotine im Blatt ist, das Sonnenlicht zu sammeln und dem Chlorophyll in einer für dieses verträglichen "Stärke" zuzuspielen. Sie werden daher auch als "Antennenpigmente" (akzessorische Pigmente) bezeichnet. Wichtig ist, dass sie in der Chloroplasten-Fabrik in sinnvoller Nähe zum Chlorophyll und mit diesem auf einer Membran angeordnet sind. Aber das führt ja fast schon zu weit... äh: zu klein.

Grob kann man sich die ganze Photosynthese wie ein nettes Ballspiel vorstellen: irgendjemand (Sonne) schießt einen Ball (= Sonnenstrahl) ungerichtet irgendwohin. Einer der vielen "ersten" Spieler (die Carotine) fängt glücklich den Ball (das energetisch sinnvolle Sonnenlicht) und gibt ihn (bzw. eigentlich das Elektron, welches durch das hochenergetische Licht aus dem Molekülverband "ausgeschlagen" wurde) an den nächsten Spieler (das Chlorophyll) ab. Dieser gibt ihn immer weiter und ganz viele Spieler spielen und helfen mit. Wenn man sich dann noch vorstellt, dass der Ball immer wertvoller wird, je mehr Spieler ihn berührt haben (und nicht auf die Erde haben fallen lassen), so ist man schon sehr nah an dem, was in der Photosynthese passiert.

Kommt der Ball schließlich heile und durch die vielen helfenden Hände getragen bis zum Ende, hat man Zucker und Sauerstoff gewonnen. Zwischendrin findet übrigens auch noch eine sog. "Photolyse" satt, in der mal so eben Wasser gespalten wird (= Hydrolyse). Das versuchen wir Menschen seit geraumer Zeit auch immer häufiger zum Antrieb diverser Autos oder sonst was einzusetzen; aber da kenne ich mich nicht aus und bewege mich auf dünnem Eis...

Auch die Carotine aber sind der Pflanze noch kostbar und werden - zumal bei Anwesenheit von nur noch wenig Chlorophyll - häufig auch noch abgebaut und geben den Blick auf eher gelb gefärbte Pflanzenbestandteile (Xanthophylle) frei. Einige Pflanzen holen sich die Carotine gleich mit dem Chlorophyll zurück, andere erst danach oder wie auch immer. Jedenfalls ergeben sich durch die verschiedenen Vorgehensweisen charakterlich so unterschiedlicher Pflanzen wie Amberbaum und Zelkova auch verschiedene Herbstaspekte. Und wie man sich vorstellen kann, steht ja der Winter vor der Tür und kann den ein oder anderen Baum heimsuchen, bevor der seine wohlüberlegte Inszenierung beenden konnte.

Um zu guter Letzt noch die in diesem Forum so heiß geliebten roten Anthocyane nicht zu vergessen: auch sie spielen im Herbst eine allerdings noch immer nicht ganz geklärte Rolle. Sicher aber ist, dass sie sich nicht direkt am Ballspiel der Photosynthese beteiligen, ja: noch nicht mal in den Chloroplasten vorliegen, wo dies stattfindet. Vermutet wird, dass sie gleichsam den Sanitätern, die bei solchen Massenveranstaltungen im Randbereich allzeit bereit in der Gegend rumstehen, eine Schutzfunktion ausführen:

Wenn ein Großteil der Carotinoide und des Chlorphylls abgebaut sind, so liegen eventuell noch photosynthetisch aktive Reste dieser Stoffe (quasi als Notbesetzung) mehr oder weniger schutzlos vor der Sonneneinstrahlung im Blatt. Das rote Anthocyan, welches dann in den Vakuolen vor allem sonnenexponierter Laubteile angereichert wird, soll nach neueren Vermutungen als Sonnenschutz dienen, der dem herbstlichen Blatt bis zum Schluss eine gewisse Produktivität ermöglicht.

Wir sehen also berauscht auf das Orange, Gelb und Rot der Blattfarbstoffe, die nach Abbau der teuren Chloroplasten noch die Stellung im Laub behaupten.

Wie ein unzufriedener Lebenspartner löst sich die Pflanze schon während dieser ganzen Prozesse mehr und mehr von ihrem Laub  und lässt ihm nicht mehr die gleiche Hinwendung zuteil werden, wie noch im Frühling und Sommer. Damit die Trennung keine zu große Wunde hinterlässt, durch welche Krankheiten und Parasiten eindringen könnten, wird im Verlauf des Herbstes das Blatt nach und nach durch eine dünne Korkschicht von der Hauptversorgung der Äste abgetrennt. Und wie im richtigen Leben reicht plötzlich ein kurzer, stürmischer Wind, um die Trennung ganz zu vollziehen:

Die Bäume verabschieden sich vom goldenen Oktober leise applaus-rauschend, indem sie ihm ihr Laub ehrerbietig zu Füßen legen.

 

Thread zum Thema im Forum: Blätter - Herbstfärbung - woher kommt sie?

 

Iris Ney - Text © 27.10.2004
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Letzte Aktualisierung: 27.10.2004  -  © Garten-pur GbR